
Als Handwerker im Ausland den eigenen Horizont erweitern, stärkt die Persönlichkeit und eigenen Fertigkeiten. Die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade bietet eine Reihe geförderter Auslandsprogramme für verschiedene Gewerke an. Europa und die Welt entdecken
Johannes Klingel erinnert sich noch gut an die Heizungen unter den Auffahrten der norwegischen Privathäuser, die ihn zum Staunen gebracht haben. Während seines Aufenthaltes in Norwegen lernte er nicht nur handwerklich völlig Unbekanntes kennen, es begegneten ihm vor allem viele interessante Menschen. „Ich war das erste Mal allein im Ausland, das war eine große Herausforderung und tolle Erfahrung“, erzählt der Elektroinstallateur. Sich mehrere Wochen auf eigenen Füßen in einem fremden Land zu behaupten, sei keine Hürde gewesen. „Ich wurde im Betrieb in Norwegen herzlich empfangen und sofort respektiert“, erzählt Klingel. Zusammen mit einem Gesellen habe er vor Ort mitgearbeitet, die norwegische Freundschaftlichkeit genossen und das Kabel im Eimer kennengelernt. „In Deutschland rollen wir das Kabel von der Kabelrolle, in Norwegen kommt es direkt aus dem Eimer“, erinnert sich Johannes Klingel schmunzelnd. Auf den Baustellen vor Ort habe er viel über Elektroheizungen, Ressourcenschonung und Elektromobilität gelernt.
Entsenden als Pluspunkt
Den Austausch in den Norden Europas, der von der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade organisiert wird, ermöglichte ihm sein Ausbildungsbetrieb Elektro Hartmann in Adendorf. „Für uns ist das Entsenden ein Pluspunkt gegenüber anderen Betrieben, wenn es um die Azubi-Suche geht“, sagt Betriebsinhaber Klaus Hartmann. Für Jugendliche sei eine solche Möglichkeit ein Anreiz bei der Suche nach einem passenden Ausbildungsbetrieb. „Unseren beiden neuen Auszubildenden biete ich diese Option auch an“, betont der 66-Jährige. Bereits elf Mal habe er Lehrlinge nach Norwegen geschickt. Die Erfahrungen seien stets positiv gewesen.
Für sein Engagement wurde Elektro Hartmann im Rahmen des Bundesprogramms „Berufsbildung ohne Grenzen“ mit dem Unternehmerpreis des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) ausgezeichnet. „Unseren Auszubildenden die Möglichkeit zu geben, die eigenen Fertigkeiten im Ausland unter Beweis zu stellen, ist auch im Nachgang für den Betrieb wertvoll“, sagt Klaus Hartmann.
Johannes Klingel hat im Rahmen einer Azubientsendung in Norwegen seine ersten Auslandserfahrungen sammeln können.
Geplante Projekte
- Azubientsendung nach Norwegen (Verdal) für Zimmerer, Tischler, Bäcker, Friseure: im Herbst für drei Wochen
- Azubientsendung in die Niederlande (Bergen op Zoom) für Zimmerer, Maurer, Tischler, Anlagenmechaniker: im Herbst für drei Wochen
- Azubientsendung nach Italien (Carrara) für Steinmetze: September bis Dezember für drei Monate
- Azubientsendung nach Japan (Tokushima) für Kfz-Mechatroniker und Zimmerer: im November für drei Wochen
- Ausbilderhospitation nach Spanien (Vigo) für Bäcker und Konditoren: im September (gemeinsam mit der Handwerkskammer Oldenburg, Anmeldungen und Infos unter: www.hwk-bls.de/vigo-2021)
- Azubientsendung nach Finnland (Iisalmi) für Bau-/Landmaschinenmechatroniker: im Oktober für drei Wochen
- Ausbilderhospitation nach Polen (Breslau) für alle Handwerksberufe: im Oktober für vier Tage
- Ausbilderhospitation nach Finnland (Iisalmi) für Kfz-Meister und Kfz-Bildungspersonal: im Oktober für eine Woche
- Ausbilderhospitation nach Japan (Tokushima) für Kfz- und Zimmerer-Meister und Bildungspersonal: im November für eine Woche
Die europäischen Projekte werden im Rahmen von Erasmus+ mit EU Fördermitteln, das japanische Projekt im Rahmen von Ausbildung Weltweit vom BMBF gefördert. Die Mobilitätsberater werden im Rahmen des Bundesprogramms Berufsbildung ohne Grenzen vom BMWi gefördert. Alle Termine sind vorbehaltlich unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Reise vorherrschenden Pandemielage.

Lutz Scheibner war zwei Mal dabei, als es im Rahmen einer Ausbilderreise ins Ausland ging.
Interview mit Mobilitätsberaterin Natalia Marszall
Was genau machen die Auszubildenden eigentlich während ihres Praktikums im Ausland?
Natalia Marszall: Unsere Gruppenprojekte dauern in der Regel drei Wochen und beginnen vor Ort mit einem Orientierungs- und Kennenlerntag. Danach gehen die Azubis in einen Betrieb und absolvieren dort ein Praktikum. Sie werden also ganz normal in die betrieblichen Arbeitsabläufe und die alltägliche Praxis eingebunden. Fehlende Sprachkenntnisse sind dabei kein Hindernis, denn die Besonderheit beim Handwerk ist ja die praktische Arbeit mit den Händen, die auch mal gezeigt werden kann. Je nach Projekt werden außerdem am Wochenende kulturelle Freizeitaktivitäten und ein berufsspezifischer Sprachkurs organisiert.
Warum sind Auslandserfahrungen auch im Handwerk empfehlenswert?
Natalia Marszall: Die Auszubildenden können im Ausland fachliche Kompetenzen erwerben, die in Deutschland nicht oder anders vermittelt werden, wie zum Beispiel die Marmorbearbeitung bei den Steinmetzen in Carrara. Sie lernen neue Arbeitsweisen kennen, verbessern ihre Sprachkenntnisse und entdecken oft ganz andere Seiten an ihrem Beruf. Wir beobachten auch oft, dass den Azubis erst im Ausland so richtig bewusst wird, welche Vorteile die duale Berufsausbildung hat und wie gut die soziale Absicherung in Deutschland ist – auch das ist ja eine interessante Erkenntnis. Außerdem baut ein Auslandspraktikum Vorurteile ab und erweitert den Horizont der jungen Menschen, denn es ist etwas anderes, in einem Land Urlaub zu machen, oder wirklich in den Alltag der dort lebenden Menschen einbezogen zu sein.
Wieviel Aufwand bedeutet es für einen Betrieb, seine Auszubildenden ins Ausland zu schicken, und welche Kosten kommen auf ihn zu?
Natalia Marszall: Wir übernehmen die Organisation des Praktikums, so dass der Betrieb keinen Aufwand hat. Da es für den Aufenthalt eine finanzielle Förderung gibt, kommen auf den Betrieb auch keine zusätzlichen Kosten zu. Er muss lediglich das Ausbildungsentgelt weiterzahlen, auch wenn die oder der Auszubildende nicht da ist, denn Urlaub kann für einen Auslandsaufenthalt nicht genommen werden, da es sich um einen Lernaufenthalt ohne Erholungswert handelt, der auf die Ausbildungszeit angerechnet wird. Auch eine Vereinbarung über eine unentgeltliche Freistellung für den Auslandsaufenthalt ist nicht möglich, da es sich um eine Ausbildungsmaßnahme außerhalb der Ausbildungsstätte handelt. Alle Rechte und Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag bleiben daher auch für die Zeit im Ausland bestehen. Ein Auslandspraktikum kann aber auch eine Anerkennung für besonders engagierte Auszubildende sein.
Was hat der Betrieb konkret davon, wenn er seine Auszubildenden ein Praktikum im Ausland machen lässt?
Natalia Marszall: Der Betrieb bekommt motivierte Azubis mit besseren Fremdsprachenkenntnissen und vor allem zusätzlichem fachlichen Können. Wenn zum Beispiel ein Bäckerlehrling in Italien ein neues Rezept für eine Ciabatta kennengelernt hat, dann kann davon auch der deutsche Ausbildungsbetrieb profitieren, indem er es in sein Sortiment mitaufnimmt. Ein Auslandspraktikum verbessert zudem die Teamfähigkeit, Selbstständigkeit und Flexibilität der jungen Handwerkerinnen und Handwerker. Und was in Zeiten von Nachwuchsmangel immer wichtiger wird - der Betrieb kann bei der Suche nach Auszubildenden damit werben, dass er die Möglichkeit für ein Auslandspraktikum bietet, und so seine Attraktivität bei den Lehrstellensuchenden steigern.