Das Groß-Hamburg-Gesetz vom 26. Januar 1937 steht am Anfang, weil es ohne dieses Gesetz niemals ein Handwerkskammergebäude in Lüneburg gegeben hätte. Es legte fest, dass Harburg-Wilhelmsburg, bislang eine preußische Stadt im Regierungsbezirk Lüneburg, an Hamburg angeschlossen wurde. Damit verlor die im Jahre 1900 in Harburg gegründete Handwerkskammer ihren bisherigen Sitz und Namen. Wissenswertes zum Lüneburger Kammergebäude
Handwerkskammer Harburg wird Handwerkskammer Lüneburg
Nach eingehenden Beratungen fiel die Entscheidung für den neuen Kammersitz und -namen auf Lüneburg. Noch 1937 wurde das Harburger Kammergebäude verkauft und ein Baugrundstück in Lüneburg, Rote Straße/Ecke Friedenstraße, erworben. Unter Leitung des Harburger Architekturbüros Heinrich Brockstedt wurde ein großzügiger, zweigeschossiger Gebäudekomplex mit nach Westen weisendem rechtwinklig angesetztem Flügel an der Südseite entworfen.
Mit einer Ausdehnung des Haupttraktes von 42 x 12 Metern und des Seitenflügels von 13 x 9 Metern war das neue Gebäude deutlich größer als das alte. Besondere Aufmerksamkeit wurde auf die Schmiedearbeiten an Fenstern, Türen und dekorativen Elementen gelegt. Für deren Ausführung wurde der damals renommierteste Kunstschmied, der aus Kiel stammende Siegfried Prütz, von seinen Kollegen als „Mozart der Schmiede“ gerühmt, gewonnen. Seine beeindruckenden Objekte sind bis heute integraler und geschützter Bestandteil des Gebäudes.
Am 26. April 1939 wurde das neue Verwaltungsgebäude der nunmehrigen Handwerkskammer Lüneburg im Rahmen eines Festaktes eingeweiht. Das Gebäude mit seinen großen und hellen Räumen erfreute sich im Handwerk schnell großer Beliebtheit. Seine Größe erlaubte es, ab 1943 auch der Kreishandwerkerschaft Lüneburg Quartier zu bieten. Sie blieb bis zum Bezug eines eigenen Gebäudes im Jahre 1988 Gast im
Kammergebäude.
Moderne Reformarchitektur
Obwohl es aufgrund des Zeitpunktes seiner Errichtung immer wieder behauptet worden ist, handelt es sich beim Lüneburger Kammergebäude nicht um NS-Architektur. Es ist ohnehin ein Irrtum, anzunehmen, dass im Dritten Reich ein völlig neuer oder gar einheitlicher Baustil geschaffen worden sei. Tatsächlich lassen sich zwischen 1933 und 1945 neben der berüchtigten „Parteitagsarchitektur“ eines Albert Speer auch andere, weitgehend autonome Stilrichtungen identifizieren.
Zu diesen gehörte eine ausgeprägt sachliche Industrie- und Ingenieurarchitektur, die sich formal stark am Bauhaus orientierte, sowie ein moderner Reformstil, der an regionale Bautraditionen anknüpfte und mit Abstand am meisten verbreitet war. Das Lüneburger Kammergebäude stellt ein typisches Beispiel für jenen Reformstil dar.
Kriegsende und Besatzung
Obwohl Lüneburg kein vorrangiges Ziel für die Bomberflotten der Alliierten war, fanden am 22. Februar und am 7. April 1945 Luftangriffe der US-Luftwaffe statt, die das Bahnhofsgelände der Stadt zum Ziel hatten. Im Laufe des zweiten Angriffs fielen auch Bomben in die Nähe des Kammergebäudes. Die Beschädigungen an der Außenfassade und am Dach waren jedoch gering und konnten schnell repariert werden. Am 18. April 1945 endete der Zweite Weltkrieg für die Lüneburger durch die kampflose Besetzung ihrer Stadt durch Einheiten der Britischen Armee. Das Kammergebäude wurde umgehend beschlagnahmt und beherbergte fortan die britische Militärverwaltung. Damit verloren Kammerverwaltung und Kreishandwerkerschaft ihren bisherigen Dienstsitz bis zum Wiedereinzug im Jahr 1951.
Kurz vor Kriegsende hatte das Kammergebäude noch eine besondere Aufgabe zu erfüllen: Am 5. Mai 1945 diente es hohen deutschen und britischen Militärs als Besprechungsort für die Umsetzung der kurz zuvor vereinbarten Kapitulation sämtlicher deutscher Wehrmachtsteile im Nordwesten Europas.
Wieder Handwerkskammer
Nach dem Auszug der Briten 1951 konnte die Handwerkskammer ihr Gebäude nach umfangreichen Reparatur- und Renovierungsarbeiten wieder beziehen. Auch die Kreishandwerkerschaft bezog dort wieder Quartier. Mit zunehmender Erweiterung ihrer Aufgaben ergänzte die Kammer das Gebäude im Laufe der Sechziger Jahre um ein Ensemble von weiteren Verwaltungs- und Funktionsgebäuden am Standort Friedenstraße.
Durch verschiedene Modernisierungsmaßnahmen befindet sich das Hauptgebäude heute auf einem technologisch und wärmetechnisch zeitgemäßen Stand. Es beherbergte im Laufe seiner Geschichte sechs Präsidenten, ebenso viele Hauptgeschäftsführer sowie zahlreiche unterschiedliche Abteilungen und Gremien. Seit der Fusion der Handwerkskammern Braunschweig und Lüneburg-Stade zur Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade im Jahr 2009 ist das Lüneburger Kammergebäude einer der beiden Hauptsitze der fusionierten Kammer.
Ausblick
Während es sich bei den später hinzugefügten benachbarten Kammergebäuden eher um einfache Zweckbauten ohne wertvolle Substanz handelt, ist das Kammerhauptgebäude ein fester Bestandteil der Lüneburger Stadtarchitektur geworden. Sein besonderer Status wird auch dadurch deutlich, dass es eines der wenigen neueren Gebäude ist, dem Denkmalschutz zuerkannt worden ist. Den sich wandelnden Anforderungen strukturell und technologisch kontinuierlich angepasst, wird es daher auch weiterhin seine Aufgabe als Hauptsitz der Handwerkskammer in Lüneburg erfüllen.