Foto aus der Tischlerei Stövesandt
Handwerkskammer

TitelthemaUnterschätztes Fachkräftepotenzial

Menschen mit Behinderungen oder beeinträchtigenden Krankheiten sind nicht falsch auf dem ersten Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: Oft gibt es wenig Hindernisse, die gegen ein typisches Ausbildungs- oder Angestelltenverhältnis sprechen. Ein Tischlermeister aus Braunschweig und ein Bäckermeister aus Zeven berichten von gelungener Inklusion in ihren Betrieben.

Augenhöhe ohne Sonderbehandlung

Junggeselle mit Autismus bleibt nach erfolgreicher Ausbildung im Betrieb beschäftigt.

Foto aus der Tischlerei Stövesandt
Handwerkskammer

Sind die Fähigkeiten zur Kommunikation und im sozialen Miteinander stark beeinträchtigt, wird laut Bundesministerium für Gesundheit von der Entwicklungsstörung Autismus gesprochen. Aber hindert eine derartige Diagnose das Erlernen eines Berufs? Die Tischlerei Stövesandt in Braunschweig beweist das Gegenteil: Corbinian Schulz hat erfolgreich seine Ausbildung absolviert und ist nun weiterhin als Geselle im Betrieb tätig. Dass der 22-Jährige an Autismus leidet, sei kein Einstellungshindernis gewesen. „Er hatte sich initiativ beworben mit einer ausgesprochen hohen Motivation und großem Interesse an unserem Handwerk“, erinnert sich Michael Franke, einer der Geschäftsführer der Tischlerei Stövesandt GmbH. Überzeugt habe er während eines Praktikums durch seine Begeisterung und eigener Zielsetzung, ein Tischler werden zu wollen. „Aufgrund seiner Erkrankung gab es einige wenige Herausforderungen, die wir aber gern angenommen haben“, erzählt Tischlermeister Franke. Durchlaufen habe er dieselbe Ausbildung wie jeder andere Lehrling im Betrieb. Eine Auseinandersetzung mit dem Krankheitsbild sei dennoch nötig gewesen: „Wir hatten keine Erfahrungen, wollten aber bestmöglich unterstützen“, erklärt Tischlermeister Franke. So habe sich der Betriebsinhaber beispielsweise für entsprechende Nachteilsausgleiche bei Prüfungsleistungen eingesetzt.

„Hier ist eine Menge möglich“, versichert er. Im Betrieb sei eine feste Position, vorgegebene Strukturen und die Bereitstellung eines Ausbilders entscheidend für das Arbeitskonzept mit Corbinian Schulz gewesen. Michael Franke betont: „Durch die zusätzliche verlässliche Unterstützung konnte unser Azubi sein volles Potenzial zeigen und sich schnell integrieren.“ Während seines ersten Ausbildungsjahres habe er in der Berufsschule für Holztechnik nicht nur die technischen Aspekte des Tischlerhandwerks gelernt, sondern sei auch umfassend in die berufliche Welt eingeführt worden. Regelmäßige Gespräche haben sich außerdem laut Franke positiv auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Kontakte innerhalb des Unternehmens ausgewirkt. Seine Lern- und Kommunikationsschwäche waren keine Einschränkung. Der familiäre Umgang in der Stövesandt GmbH kam Corbinian Schulz dabei entgegen: „Ich konnte mich schnell einleben und wohlfühlen“, erzählt der Junggeselle. Der offene Umgang mit seiner Beeinträchtigung ist ihm wichtig: „Ich kann am besten Teil des Teams sein, wenn ich nichts verstecken muss.“ Eine Sonderbehandlung habe er nicht bekommen. Die Montage auf den Baustellen mache ihm am meisten Spaß. „Ich bin ein typischer Tischler“, sagt er lächelnd.

 www.tischlereistoevesandt.de

 

Von Anfang an klare eigene Ziele

Backmanufaktur integriert erfolgreich jungen Mann mit Behinderung

Julian Kruse und Konditormeister Rainer Knorr zeigen ein Blech mit Käse-Croissants in der Backstube der Ratsbäckerei Latzel.
epd-bild/Dieter Sell

In der typischen Backstube fühlt sich Julian Kruse wohl. Er liebt Croissants mit Schokofüllung, formt die Rohlinge exakt auf dem großen Blech, bevor er die Teigstücke in den Ofen schiebt. Seit neun Jahren arbeitet der 28-Jährige nun als Vollzeitkraft in der Backmanufaktur von Rainer Knorr in Zeven. Julian Kruse lebt mit dem Down-Syndrom, fühlt sich aber kaum beeinträchtigt: „Nach einem Praktikum in der Bäckerei wollte ich nichts anderes mehr arbeiten“, erzählt er. Dabei schien nach der Schule sein Weg wie bei vielen Menschen mit einer Trisomie 21 vorgezeichnet. „Ich sollte in die Behindertenwerkstatt, das gefiel mir gar nicht“, erinnert sich der Backgehilfe. „Ich wollte auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten“, sagt er. Bäckermeister Knorr ist mit seiner Arbeit sehr zufrieden: „Julian ist sehr gründlich und ordentlich.“ Im Team ist er laut Betriebsinhaber beliebt und akzeptiert. Es gebe kaum eine Aufgabe, die er nicht bewältigen könne. „Julian hatte von Anfang an klare Ziele“, sagt Rainer Knorr. Das habe ihn schnell von seiner Person und seinen Fähigkeiten überzeugt. Er lebe selbstständig in einer Wohngemeinschaft mit einem Kumpel. Oft würden sich negative Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen gar nicht bestätigen. „Wir sollten uns alle viel mehr akzeptieren, wie wir sind, und trotz persönlicher Einschränkungen Chancen geben“, betont der Meister. „Davon können wir alle profitieren.“ Julian Kruse wolle er in seiner Backmanufaktur jedenfalls nicht mehr missen.

www.backmanufaktur-latzel-1884.de

 

Hilfestellungen für eine gelingende Inklusion

 

Eingliederungszuschuss

Stellt ein Handwerksbetrieb einen behinderten und arbeitssuchend gemeldeten Menschen ein, kann die Agentur für Arbeit bis zu 50 Prozent des Arbeitsentgelts als Eingliederungszuschuss zahlen. Der Förderzeitraum kann bis zu zwölf Monate betragen. Für Menschen mit Behinderung bestehen weitergehende Zuschussmöglichkeiten.

Beratung gibt es beim Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit. Tel. 0800 – 45 555 20 (Beratung und Anruf sind kostenfrei).

 

Fachpraktiker

Die Fachpraktikerausbildung soll jungen Menschen mit einer Lernbehinderung eine Ausbildung ermöglichen. Wenn Art und Schwere der Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht zulassen, gibt es theoriegeminderte und im Umfang reduzierte Ausbildungsgänge. Eintritt in diese Form der Ausbildung erfolgt über die Agentur für Arbeit und ein psychologisches Gutachten.

 

Nachteilsausgleich

Die Entscheidung über den konkreten Nachteilsausgleich trifft für jeden Einzelfall immer der Prüfungsausschuss – egal ob Gesellen-, Meister- oder Fortbildungsprüfung. Da es häufig um komplexe Erkrankungen / Beeinträchtigungen geht, wird die Handwerkskammer vorab involviert und die Mitarbeiter der Kammer und der Kreishandwerkerschaften beraten sich. Dann gibt es eine Empfehlung an den Ausschuss über Umfang und Umsetzung des Nachteilsausgleichs. Um überhaupt einen Antrag auf Nachteilsausgleich stellen zu können, muss zwingend ein fachärztliches Attest vorliegen.

Mehr Informationen

www.bibb.de

www.inklusion-gelingt.de



Portraits in der Hauptverwaltung Lüneburg Fotostudio Gramann

Claudia Meimbresse

Geschäftsbereichsleiterin Berufliche Bildung

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Dominik Bogenschneider

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