
Dr. Bierich informiertDer reiselustige Arbeitnehmer und die ausländische AU-Bescheinigung
Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) enthält in § 5 Abs. 2 spezielle Sonderregelungen zur Anzeige und Mitteilung der Arbeitsunfähigkeit (AU), wenn sich der Arbeitnehmer bei deren Beginn im Ausland aufhält. So ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die AU, deren voraussichtliche Dauer und die Adresse am Aufenthaltsort in der schnellstmöglichen Art der Übermittlung mitzuteilen. Und nicht selten hat der Arbeitgeber in diesen Fällen Zweifel an der AU, wenn diese in zeitlichem Zusammenhang mit dem Urlaub des Arbeitnehmers steht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in der jüngeren Vergangenheit mehrfach Entscheidungen getroffen, wonach der Beweiswert der im Inland ausgestellten AU-Bescheinigung durchaus erschüttert werden kann bei Vorliegen bestimmter Begleitumstände. Dies gilt beispielsweise bei engem zeitlichen Zusammenhang zwischen Übergabe der Kündigung und Vorlage der AU-Bescheinigung (BAG, Urteil vom 18.09.2024, Az.: 5 AZR 29/24). Doch welchen Beweiswert hat eine im Nicht-EU-Ausland ausgestellte AU-Bescheinigung – und kann auch deren Beweiswert erschüttert werden? In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG hier für Klarheit gesorgt (Urteil vom 15.01.2025, Az.: 5 AZR 284/24).
Der Fall: Ein Arbeitnehmer hatte bereits in den Jahren 2017, 2019 und 2020 in direktem Zusammenhang mit seinem Urlaub AU-Bescheinigungen vorgelegt. So war es auch im Jahr 2022: Seinen Urlaub hatte der spätere Kläger vom 22.08. bis zum 09.09. genommen, übermittelte jedoch am 07.09.2022 seinem Arbeitgeber eine AU-Bescheinigung bis zum 30.09.2022, die ihm ein tunesischer Arzt ausgestellt hatte. Doch der Krankgeschriebene, dem vom Arzt strenge Bettruhe verordnet worden war, buchte trotz festgestellter Reiseunfähigkeit bereits am 08.09.2022 für den 29.09.2022 eine Autofähre von Tunis nach Genua und reiste mit dem PKW nach Deutschland weiter. Der Arbeitgeber hatte aufgrund dieser Umstände Zweifel an der Erkrankung und verweigerte die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der angeblichen AU. Das BAG stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass grundsätzlich einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten AU-Bescheinigung derselbe Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten Bescheinigung zukommt. Allerdings seien vom LAG München als Vorinstanz die Begleitumstände rund um die Ausstellung der AU-Bescheinigung lediglich isoliert betrachtet worden; die rechtlich gebotene Gesamtwürdigung der einzelnen Aspekte sei jedoch unterblieben. So habe der Kläger bereits einen Tag nach Ausstellung der AU-Bescheinigung – ihm war absolute Ruhe verordnet worden – das Fährticket gekauft und später die beschwerliche Heimreise mit dem PKW angetreten. Und in der Gesamtschau würden sich Zweifel an der AU auch aus der Tatsache ergeben, dass der Kläger bereits mehrere Jahre in Folge unmittelbar nach dem Urlaub AU-Bescheinigungen eingereicht hatte. Aufgrund der Beweislastumkehr trage nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten AU als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG, so das BAG. Da die Vorinstanz dazu keine Feststellungen getroffen hatte, wurde das Verfahren insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG München zurückverwiesen.
Tipp: Arbeitgeber sollten nicht vorschnell Entgeltfortzahlung leisten, sondern bei begründeten Zweifeln an der AU des Arbeitnehmers die rechtliche Beratung ihrer Kreishandwerkerschaft in Anspruch nehmen.
Dr. jur. Andreas Bierich, Fachwanwalt für Arbeitsrecht
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