Mit 22 Jahren ist Lilly Wiegel eine der jüngsten Meisterinnen im Dachdeckerhandwerk.
Schmitz / Handwerkskammer

Einige Handwerksberufe sind noch immer männerdominiert, obwohl viele Frauen bei gleicher Leistung erfolgreiche Karrieren in genau diesen Berufen vorweisen. Dachdeckermeisterin Clarissa Heuer hat mit vielen Klischees zu kämpfen. Sie plädiert für ein Umdenken bei Kunden, Frauen und Handwerksbetrieben. Hemmungen oder Vorurteile?

Gibt es sie noch, die klassischen Männerberufe? Oder sind es die Vorurteile gegenüber Frauen in bestimmten Gewerken, die einfach nicht aus den Köpfen verschwinden? Die Zahlen einer Studie des Instituts für Mittelstand und Handwerk (ifh) belegen, dass noch immer ein Ungleichgewicht besteht, obwohl es zahlreiche Karriereleitern gibt, die erfolgreiche Handwerkerinnen bereits erklommen haben.

Mit 21 Jahren ist sie eine der jüngsten Meisterinnen im Dachdeckerhandwerk. Dabei wollte Lilly Wiegel ursprünglich gar nicht aufs Dach. Ihr Vater, selbst Dachdecker, nahm sie oft mit auf die Baustellen. „Mit der Höhe auf den Dächern hatte ich nie Probleme“, erzählt sie. Allerdings hatte sie sich nach der Schule einen medizinischen Beruf ausgesucht. Ein Praktikum in einem Krankenhaus hat ihr aber gezeigt, dass das nicht das Richtige für sie ist. Ihre Entscheidung fiel somit auf eine Dachdeckerlehre im Familienbetrieb Dachdeckerei Wiegel in Wittmar.

Meister hinterhergeschoben

Direkt nach der Ausbildung besuchte sie die Meisterschule und hatte mit 21 Jahren den Meistertitel in der Tasche. Der Weg bis dahin war aber nicht leicht. Zu Beginn ihrer Ausbildung ist Lilly Wiegel nach jedem Arbeitstag völlig erschöpft und müde ins Bett gefallen. „Im Sommer ist es heiß, im Winter ist es kalt. Als Dachdecker ist man den Witterungsverhältnissen ausgesetzt. Es gab Tage, an denen ich viele Selbstzweifel hatte“, erzählt sie. Mittlerweile hat sich ihr Körper aber an die Belastung gewöhnt. „Das härtet auch ab.“ Inzwischen ist sie stolz auf sich und ihre Leistung. Den Meister hat sie direkt im Anschluss an die Ausbildung gemacht. „So musste ich nicht doppelt für die Theorie lernen.“ Ihr macht es Spaß zu sehen, welche Fortschritte sie am Ende des Tages gemacht hat. „Ein Dach mit den eige-nen Händen zu decken ist ein tolles Gefühl. Das könnten niemals Roboter übernehmen. Das macht das Handwerk am Ende für mich aus“, sagt Wiegel. Dabei ist es ihr egal, ob Flachdächer zu schweißen, Lötarbeiten zu machen oder Dachdeckarbeiten zu leisten sind. „Jeden Tag habe ich andere Arbeit zu erledigen. Das ist schön und macht meinen Arbeitstag so abwechslungsreich.“

Eine Sache darf in ihrem Arbeitsalltag aber nie fehlen: ihre Lieblingsschere. Eine kleine Blechschere, die in ihrer Hosentasche steckt. „Sie hilft mir immer sehr gut. Sie ist so kompakt und passt somit wunderbar in meine kleinen Hände“, schmunzelt sie. „Ich habe gemerkt, dass ich in den praktischen Arbeiten noch viel lernen muss. Durch den frühen Meistertitel fehlt mir diese Erfahrung“, gibt sie zu. Aufgrund ihres Alters wird ihr noch nicht so viel zugetraut. „Meistens ist die Neugier aber größer als die Skepsis. Die Kunden kommen oft schnell mit mir ins Gespräch und wollen erfahren, wie ich das geschafft habe“, berichtet sie. Ihr ist aber bewusst, dass sie noch einiges lernen muss. Aus diesem Grund ist sie oft mit auf den Baustellen und sammelt Erfahrung. Wie die Arbeit im Büro abläuft und wie Kundengespräche zu führen sind, zeigt ihr Vater ihr ebenfalls. „Der Plan ist, dass ich die Firma übernehme und weiterführe. Dann kann mein Vater in den wohlverdienten Ruhestand gehen.“

Dachdeckermeisterin Clarissa Heuer hat mit vielen Klischees zu kämpfen. Sie plädiert für ein Umdenken bei allen Akteuren.
Schmitz / Handwerkskammer

In die Fußstapfen des Vaters

Dass Clarissa Heuer einmal in die Fußstapfen ihres Vaters treten wird, war zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn nicht abzusehen. Erst mit 23 Jahren ist sie in die Dachdeckerei ihres Vaters eingestiegen. Sie ist die vierte Generation in dem Familienunternehmen. „Ursprünglich habe ich keine handwerkliche, sondern eine kaufmännische Ausbildung gemacht“, erzählt sie. Nach ihrer Ausbildung habe ihr damaliges Unternehmen allerdings fusioniert und ihre Stelle wurde gestrichen. Sie fing im Büro ihrer Eltern an, aber zufrieden war sie damit nicht. „Ich habe schnell festgestellt, dass mir die Büroarbeit alleine zu wenig ist“, erinnert sie sich. „Ich hatte andere Ansprüche an mich selbst und wollte noch mehr lernen.“ So entschloss sie sich, noch eine Ausbildung zur Dachdeckerin zu machen. Gleich im Anschluss besuchte sie die Meisterschule und konnte bereits im Mai 2019 ihren Meisterbrief in den Händen halten.

Ziele setzen

Das nächste Ziel ist Betriebswirtin im Handwerk. „Mich freut es immer, wenn ich abends sehe, was wir geschafft haben. Dieses schöne Gefühl hatte ich im Büro nicht“, sagt Clarissa Heuer. Allerdings sei sie nicht das ganze Jahr auf den Dächern unterwegs, denn bei Frost und Glatteis ist es aus Gründen des Arbeitsschutzes nicht erlaubt, auf den rutschigen Dächern zu arbeiten. In den Wintermonaten findet sich dann Zeit, um die Ausrüstung zu warten, das Lager aufzuräumen oder auch die Überstunden abzubauen. Wenn Clarissa mit ihrem Vater zu Baustellen fährt, hat sie oft mit ungläubigen Blicken zu kämpfen. Die Kunden denken, sie sei die Auszubildende und nicht die Nachfolgerin. „Ich frage mich dann immer, wie eine Frau als Dachdeckermeisterin auszusehen hat, damit die Leute einen weiblichen Meister akzeptieren“, sagt sie.
Die Klischees sind oft dieselben: Frauen seien zu klein, hätten nicht die nötige Kraft und es fehle Ihnen an Ausdauer. Clarissa Heuer geht damit aber gelassen um: „Da stehe ich drüber und beweise einfach das Gegenteil.“

 

Interview mit Ute Wehling zum Thema Frauen im Handwerk

Frau Wehling, warum sind in einigen Gewerken Frauen noch immer unterrepräsentiert?

Ute Wehlin: Das Handwerk ist in weiten Bereichen unverändert männlich. Umso wichtiger ist es unserer Ansicht nach, Klischees hinsichtlich der Berufsorientierung aufzubrechen, und zwar nicht nur bei den jungen Menschen, die vor der Berufswahl stehen, sondern gerade auch bei den ausbildenden Betrieben. Unserer Erfahrung nach werden junge Frauen, die sich für eine Ausbildung in einem so genannten typisch männlichen Handwerksberuf interessieren, nämlich vielfach unverändert mit den üblichen Vorurteilen und Klischees ihrer meist männlichen Ausbilder und Kollegen konfrontiert.

Dennoch wird die Bedeutung von Frauen im Handwerk immer wieder betont. Was macht denn das Besondere von Frauen im Handwerk aus?

Ute Wehling: Gerade in vielen Handwerksberufen, die als typisch männlich gelten, wird Frauen der Einstieg nicht leicht gemacht. Daran hat auch der Fachkräftemangel nur wenig geändert. Wer also als Frau einen solchen Handwerksberuf ergreift, der will das auch. Denn dazu braucht es unverändert den Willen und die Kraft, gegen Vorurteile anzugehen und sich durchzusetzen. Diese Frauen sind daher meist besonders engagiert, schließen ihre Prüfungen oft mit Bestnoten ab und gehen zielstrebig im Handwerk ihren Weg. Sie qualifizieren sich weiter, absolvieren die Meister-Ausbildung, und viele führen danach ihr eigenes Unternehmen.

Was würde sich ändern, wenn es mehr Frauen in typischen Männerberufen gäbe?

Ute Wehling: Dann gäbe es keine typischen Frauen- oder Männerberufe mehr. Dann ginge es nur noch darum, ob der Beruf zu einem passt und eine entsprechende Begabung da ist. Je mehr Frauen ihr Handwerk erfolgreich ausüben, umso eher werden die typischen Klischees und Vorurteile aufgebrochen.

Wie kann dann eine geschlechtersensible Berufs- und Studienorientierung gelingen?

Ute Wehling: Betriebe müssen sensibilisiert werden, bei der Suche nach Fachkräften stärker Frauen ins Visier zu nehmen und als potenzielle Auszubildende in Betracht zu ziehen. Dazu haben wir in der Handwerkskammer unsere Berater entsprechend geschult und einen Handlungsleitfaden für die Mitgliedsbetriebe erarbeitet. Wir wollen den Betriebsinhabern zeigen - #frauenkönnenhandwerk. Mit diesem Hashtag wollen wir einen aktiven Austausch initiieren, um vielen Mädchen und Frauen den Weg ins Handwerk zu erleichtern.

Welche Erfolge haben Sie bereits mit Ih- rem Engagement erreichen können?

Ute Wehling: Wir haben eine erfolgreiche Plakat- und Postkartenkampagne realisiert, in der wir junge Frauen zeigen, die sich erfolgreich im Handwerk durchgesetzt haben. Damit demonstrieren wir, dass auch Frauen Handwerk können und alte Rollenbilder nicht mehr standhalten. Ob Frau oder Mann ein Handwerk ausübt, ist nicht entscheidend, sondern der Wille und das Können.